Wilfried Schreiber – Nachruf
Wilfried Schreiber ist am 19. November 2024 im Alter von siebenundachtzig Jahren verstorben. Er war uns enger Freund, zuverlässiger Mitstreiter und produktiver Autor der Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik und des WeltTrends-Instituts für Internationale Beziehungen.
Seine Kindheitserlebnisse in den Luftschutzkellern des brennenden Dresdens prägten ihn und machten ihn zum entschiedenen Friedenskämpfer. Überzeugt, damit angesichts der Remilitarisierung in Westdeutschland zur Verhinderung eines neuen Krieges beizutragen, wurde er nach dem Abitur Soldat, 1955 in der Kasernierten Volkspolizei und nach deren Gründung 1956 in der Nationalen Volksarmee der DDR. Er wurde 1959 zum Offizier der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung ernannt und erwarb dort Kenntnisse und Erfahrungen im Truppen- und Stabsdienst. Nachdem er 1968 ein Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig als Diplomlehrer für Marxismus-Leninismus abgeschlossen hatte, wurde er Aspirant an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und 1975 zum Dr. phil. promoviert.
Danach lehrte er an der Offiziershochschule „Franz Mehring“ in Kamenz und von 1978 bis 1990 an der Militärpolitischen Hochschule „Wilhelm Pieck“ in Berlin. An der Militärakademie „Friedrich Engels“ in Dresden wurde er 1985 zum Dr. sc. oec. promoviert. 1988 erhielt er die Berufung zum außerordentlichen Professor.
Wilfried Schreiber, 1983 Oberst geworden, gehörte zu jenen Offizieren der NVA, die Anfang der achtziger Jahre erkannten, dass im Atomzeitalter der drohende Krieg im Ost-West-Konflikt zur Vernichtung der menschlichen Gattung führen würde und die von der Palme-Kommission gefundene Idee aufnahmen, dass der Frieden nicht mehr auf militärische Abschreckung gegründet werden kann, denn es gibt nicht mehr Sicherheit gegen den möglichen Feind, sondern es gibt nur noch Sicherheit mit ihm zusammen (Egon Bahr). Die Ideen der gemeinsamen Sicherheit, der Kriegsuntauglichkeit moderner Industriegesellschaften sowie der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung machte er zur Leitlinie seines Denkens und Handelns. Er verinnerlichte das „Neue Denken“. In diesem Sinne wurde er ab 1987 in den sicherheitspolitischen Ost-West-Dialog einbezogen.
Engagiert vertrat er seine friedenspolitischen Argumentationen auch in der Öffentlichkeit und war über Jahre mit Bildungsveranstaltungen u.a. bei der Urania tätig. 1988 folgte seine Berufung in den Wissenschaftlichen Rat für Friedensforschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Kreativ beteiligte er sich am Runden Tisch zur Militärreform beim Minister für Nationale Verteidigung an der Ausarbeitung von Verteidigungspolitischen Richtlinien der reformierten DDR, die konsequent auf eine Entmilitarisierung der Sicherheit und Konversion ausgerichtet waren. Folgerichtig war er in der „Wendezeit“ auch in der „Studiengruppe Entmilitarisierung der Sicherheit“ aktiv.
Resignation war ihm fremd. Nach 1990 orientierte er sich beruflich neu und war in einer Consultingfirma eines Großunternehmens tätig. Nach dem Ende dieser Tätigkeit trat er 2002 der Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik e.V. bei und engagierte sich im außenpolitischen Verein WeltTrends. Mit ihm gewann dieser eine vielseitige Wissenschaftlerpersönlichkeit. Er leistete in den nächsten zwei Jahrzehnten Außerordentliches zur friedenswissenschaftlichen Arbeit in Wort und Schrift. In der Friedensbewegung bewährte er sich als kompetenter Teilnehmer in unzähligen Konferenzen, in Seminaren und an Podiumsgesprächen.
Den Dresdener Gesprächskreis Sicherheitspolitik und WeltTrends bereicherte er durch sachkundige Vorträge und Diskussionen über die Herausbildung einer multipolaren Weltordnung, ihre militärpolitischen Implikationen und mit Forderungen nach einer dialogorientierten Entspannungspolitik Deutschlands.
Er stellte sich den aktuellen digitalen Herausforderungen der politischen Publizistik. Ab 2021 verteilte er den hochinformativen Newsletter „Aktuelles“ des WeltTrends-Instituts. Bis zum letzten Tag war Wilfried Schreiber aktiv. Er hatte noch weitergehende Ideen und Pläne, die nun leider unvollendet bleiben. Wir werden ihn mit seiner Tatkraft in ehrendem
Gedenken behalten.
Im Namen von WeltTrends und dem Dresdner Gesprächskreis Sicherheitspolitik
Dr. habil. Erhard Crome Dr. Reinhard Klos
Prof. Dr. Lutz Kleinwächter Prof. Dr. Wolfgang Scheler
WeltTrends e.V. Dresdner Gesprächskreis Sicherheitspolitik