Jürgen Angelow

Konzeptuell rückbauen, zu einer neuen Sprache finden!

Wege aus einer gelähmten Außenpolitik

Die deutsche Außenpolitik befindet sich in einem kläglichen Zustand: Die Politik der Zeitenwende von 2022 sowie das Konzept des Konstruktivismus, dem maßgebliche Entscheider im Auswärtigen Amt seit etwa zwei Dekaden zunehmend gefolgt sind, haben zu ihrem Niedergang geführt. Vieles von dem, was die Bundesrepublik bis dahin zu einem geachteten und anerkannten Akteur in den Internationalen Beziehungen gemacht hatte, wurde seitdem über Bord geworfen: das im Grundgesetz verankerte Friedensgebot, das Eintreten für Dialog, Mäßigung und Verständigung sowie der Wille zur Herstellung gutnachbarschaftlicher Beziehungen über alles Trennende hinweg.[1]

Internationale Konflikte wurden nicht mehr gelöst sondern einseitig wertefixiert, deutsche oder europäische Interessen durch dubiose Haltungen, stereotype Urteile und falsche Rücksichten begrenzt. Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Es bedarf einer gründlichen Aufarbeitung und schnellen Abhilfe. 

Wenn im folgenden der Frage nachgegangen werden soll, welchen Stellenwert konzeptuelle und kommunikative Voraussetzungen bei der Gestaltung von Außenpolitik[2] besitzen und was geändert werden muss, wäre zunächst einzuschränken, dass zwischen Konzepten und Theorien[3] sowie der Praxis stets Abweichungen auftauchen. Gelehrte Politikberatung leidet wohl immer an der selektiven Wahrnehmung ihrer Expertise und deren nur sporadischer Übertragung in politisches Handeln. Politische Akteure suchen keine gelehrte Unterweisung sondern Versatzstücke, die zu ihrem Denken passen und ihr Handeln absichern, ohne dass sie das theoretische Gesamtpaket durchdringen müssten.

Normalerweise spielen in der Außenpolitik an erster Stelle staatliche Interessen eine Rolle, egal, ob das zugegeben wird oder nicht, aber auch Haltungen, Urteile und Rücksichten, wie wir sehen können, fachliche Expertisen und Kalkulationen, Erwägungen aus benachbarten Ressorts, Intuition und Erfahrungen, auch Gruppendynamiken von Entscheidungsgremien und vieles mehr. Hinzu tritt die Tatsache, dass der stete Wandel von Konzpten zu einem Neben- und Gegeneinander strategischer Leitlinien sowie zu inkonsistenten Deutungen und Handlungen führen kann, gerade wenn sie untereinander inkompatibel sind.

Wenn im September 2024 immerhin 80 Prozent der Deutschen der Auffassung waren, die Bundesregierung hätte angesichts der weltpolitischen Unsicherheiten kein klares außenpolitisches Konzept[4], stellt sich die Frage, ob hierfür Fehler bei der praktischen Ausführung der Außenpolitik verantwortlich waren oder falsche konzeptuelle Voraussetzungen?

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[1]     Eine kritische Lagebewertung bei Petra Erler: Vom Dialog zur Doppelmoral: Der Niedergang der deutschen Außenpolitik, in: telepolis.de, 17. Januar 2025.

[2]     Definitionen von Außenpolitik sind gerade im Fluss, wobei deutlich wird, dass neben dem traditionellen Gedanken der Interaktion eines souveränen Staates mit anderen Staaten und der Tatsache, dass diese Interaktion von Interessen und Zielen (Frieden, Sicherheit, Ordnung, Wirtschaft und Handel, Beziehungen und Zusammenarbeit, Klimaschutz) geleitet ist, zunehmend auch ein Konkurrenzgedanke sowie die Verfolgung von Werten (Verteidigung der Freiheit, Entwicklung und Wahrung von Menschenrechten) einbezogen werden. Siehe die Definition bei Helga Haftendorn: Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung, München 2001, S. 13.

[3]     Während Konzepte als grundlegende, relativ abstrakte Ideen verstanden werden, die dem allgemeinen Verständnis einer Sache dienen, handelt es sich bei Theorien um ein darauf basierendes, umfassendes und zusammenhängendes System von Aussagen mit erklärendem Wert und Deutungsanspruch. 

[4]     Internationale Politik (Hrsg.): Hat die Bundesregierung ein klares außenpolitisches Konzept? In: Internationale Politik Quarterly, 2. September 2024.


WeltTrends 205 – Deutsche Außenpolitik Militant

Seit einhundert Tagen ist die schwarz-rote Regierung im Amt. Erste Einschätzungen zu ihrem außen- und sicherheitspolitischen Kurs stehen im Zentrum des neuen Welttrend-Heftes.

Die Regierung Merz setzt deutliche Akzente in Richtung einer Fortsetzung und Intensivierung der Zeitenwende-Politik ihrer Vorgängerregierung. Eine enorme schuldenfinanzierte Aufrüstungskampagne, immer schärfere Drohungen gegen Russland aber auch gegen China, neue und umfangreichere Waffenprogramme zur Unterstützung der Ukraine sowie eine bisher nicht vorstellbare Kriegs- und Feindrhetorik prägen die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands. Diplomatie, friedliche Konfliktregelung und Abrüstung spielen demgegenüber eine nachgeordnete Rolle.

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