Kai Kleinwächter
Gemeinsam setzen wir ein Zeichen – Rede zum Friedenstag
Verschriftlichung der Rede zum Friedenstag am 01.09.2024 auf der Veranstaltung der Friedenskoordination Potsdam (FRIKO). Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Freunde und Freundinnen des Friedens,
Gemeinsam setzen wir ein Zeichen. Ein Zeichen für Frieden, für Abrüstung, friedliche Koexistenz und Völkerverständigung.
Heute vor 85. Jahrestag versuchte Deutschland im II. Weltkrieg ein europäisches Imperium zu erobern. Ein sinnloses Sterben mit über 60 Millionen Toten. (The National WWII Museum) Der Krieg endete erst mit der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten. Besonders die Völker der Sowjetunion brachten dabei unglaubliche Opfer – mindestens 24 Millionen. (ebd.) Das sollten wir nie vergessen.
Die Alliierten befreiten uns vom Faschismus. Sie ermöglichten uns wieder Teil der Weltgemeinschaft zu werden sowie zu Wohlstand und Frieden zu kommen.
Nach dem Ende des Krieges fanden die Leitideen und Losungen „Nie wieder Krieg! – Nie wieder Faschismus!“ breiten Anklang. Aber die damit verbundenen politischen Forderungen erfüllten sich nur in Teilen.
Das „gemeinsame Haus Europa“ wurde nur zur Hälfte errichtet. Entgegen der Vision, die Gorbatschow formulierte, bezog der Westen weder Russland noch die Ukraine oder Weißrussland in die Sicherheitsarchitektur mit ein. (Gorbatschow 1988)
Im Gegenteil: Die alte Feindschaft gegen Russland wurde nie aufgegeben. Der alte Anspruch auf westliche Hegemonie lebt weiter.
Statt Frieden zu bringen, verschärfte die Europäische Union, verschärfte auch Deutschland, die Widersprüche zwischen der Ukraine und Russland. Der Konflikt wurde geschürt, bis es zum völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands kam.
Die deutsche Regierung hat diesen Krieg nicht verhindert, sondern befördert. Sie stellte die Ukraine vor die Wahl: EU / NATO-Mitgliedschaft oder Integration in die GUS sprich Verbleib unter russischen Einfluss. Die Frage zerriss die Ukraine in einen pro-russischen und einen pro-westlichen Teil. Es begann ein Bürgerkrieg, der sich internationalisierte.
Die Idee der „Friedlichen Koexistenz“ – gemeinsam am Frieden und der Weiterentwicklung der Menschheit zu arbeiten, bei Akzeptanz des anderen Systems, hat derzeit einen schweren Stand. Leider haben sich die militaristischen Kräfte durchgesetzt.
„In seiner einfachsten Ausprägung bedeutet [Friedliche Koexistenz] die Ablehnung des Krieges als Mittel zur Lösung strittiger Fragen. […] Neben der Verpflichtung zum Nichtangriff, bedeutet es die Verpflichtung aller Staaten, die territoriale Integrität und Souveränität der anderen in keiner Weise zu verletzen. […] Der Grundsatz der friedlichen Koexistenz bedeutet den Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, insbesondere mit dem Ziel ihr Regierungssystem oder ihre Lebensweise zu ändern. Die Doktrin der friedlichen Koexistenz setzt auch voraus, dass die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern auf der völligen Gleichheit der Beteiligten und auf gegenseitigem Nutzen beruhen.“
Chruschtschow 1959 (S. 3)(Übersetzt mit DeepL.com)
Die Politik, Deutschland wieder kriegstüchtig zu machen, begann bereits Anfang der 1990er Jahre. Sie wurde seitdem immer mehr ausgeweitet. Die Bundesrepublik führte seit 1990 zahlreiche und langwierige Kriege: u.a. im Kosovo, Afghanistan, Irak, Libanon, Mali, Somalia. Diese Linie wird durch den Ukraine-Krieg deutlich intensiviert. (Kleinwächter 2017)
Im Ukraine-Krieg ist Deutschland Kriegskombattant auf vier Ebenen.
1. Ebene: Militärisch
- Deutschland bildet ukrainische Soldaten in Deutschland aus.
- Deutschland betreibt in Polen sowie dem Baltikum Reparaturanlagen für Panzer und Geschütze.
- Deutschland fördert den Aufbau deutscher Rüstungsfabriken in der Ukraine. (German Foreign Policy 2024)
- Deutschland liefert Geheimdienstinformation über russische Truppenbewegungen sowie Koordinaten für ukrainische Waffensysteme.
- Deutschland stimmte dem Einsatz deutscher Waffensysteme auf russischen Boden zu.
- Und Deutschland ist nach den USA der größte Finanzier und Waffenlieferant des Krieges. Rechnet man die bilateralen Hilfen, die Unterstützung der hier lebenden Flüchtlinge und Deutschlands Anteil an den EU-Zahlungen zusammen, wurden bereits mehr als 70 Mrd. € aufgewendet. (Antezza et al. 2022) Bis Ende des Jahres werden es deutlich über 80 Mrd. € sein. Die dafür aufgenommenen Schulden zahlen wir noch in Jahrzehnten ab.
2. Ebene: Diplomatisch
Von Deutschland gehen keine Initiativen zum Frieden aus. Im Gegenteil, Deutschland fördert eine immer weitere Ausdehnung des Krieges. Die deutsche Regierung schreitet nicht ein, wenn die Ukraine Anschläge in Afrika durchführt (Schmid 2024) oder – militärisch vollkommen sinnlos – Gebiete in Russland besetzt.
Wie es der Aufruf der Friedenkoordination Potsdam richtig formuliert:
„Ein Wille zu friedlichen Lösungen ist derzeit kaum erkennbar. Weder NATO, EU noch Deutschland lassen erkennen, dass sie durch Diplomatie zum Ende der Kriegshandlungen beitragen und an tragfähigen Friedenslösungen mitwirken wollen, sowohl weder in der Ukraine noch in Gaza.“
FRIKO (Potsdam 2024)
Letzteres muss deutlich betont werden. Auch im Nahostkonflikt spielt Deutschland eine kriegerische Rolle. Es unterstützt Israel bedingungslos bei seinem Krieg gegen das Palästinensische Volk. Mit einer Selbstverteidigung Israels hat das nichts mehr zu tun. Es ist ein völkerrechtswidriger Krieg – und Deutschland steht an der Seite der Aggressoren.
„In beiden Konflikten werden internationale Initiativen für einen Waffenstillstand nicht unterstützt und stattdessen immer mehr Waffen in Kriegsgebiete geliefert.“
FRIKO (Potsdam 2024)
Das ukrainische, das russische, das palästinensische und auch das israelische Volk bezahlen diese Kriege mit ihrem Wohlstand sowie ihrer Zukunft.
3. Ebene: Wirtschaft
Deutschland führt einen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Es wurden zahlreiche Sanktionen verhängt – geschätzt über 14.000. (Boksch 2024) Der Handel mit Russland ist de facto zum Erliegen gekommen. (Otte 2024)
Aber es gelang nicht, andere (nicht-westliche) Staaten mit einzubeziehen.
Im Gegenteil, der Westen hat sich selbst isoliert und die Sanktionen werden zum Beschleuniger eines neuen Selbstbewusstseins des Südens. Die BRICS, angeführt von China, erweiterten sich deutlich. Ihre Wirtschaft wächst und sie steigern ihren Einfluss deutlich. Vom Globalen Süden gehen zahlreiche Angebote und Initiativen für den Frieden aus. (ippnw 2024) Diese müssen unterstützt werden.
Gleichzeitig schädigen die Sanktionen die deutsche Wirtschaft. Die Energiepreise steigen, Exporte und Wettbewerbsfähigkeit geraten unter Druck. Die soziale Frage spitzt sich deutlich zu.
Friedenskoordination Potsdam mahnt vollkommen richtig:
„Im derzeitigen Bundeshaushalt sind dringend erforderliche Investitionen in soziale Daseinsvorsorge, gerechte Renten und nachhaltigen Klimaschutz nicht vorhanden. Diese Politik gefährdet nicht nur die Sicherheit, die Wirtschaft und den Sozialstaat, sondern auch den sozialen Frieden und die Demokratie.“
FRIKO (Potsdam 2024)
4. Ebene: Innere Militarisierung
Im Inneren werden die Auseinandersetzungen deutlich härter. Gegner werden diffamiert und isoliert. Gleichzeitig beginnen Kürzungen bei den Armen: Das Bürgergeld wird beschnitten, die Sozialleistungen für Migranten sollen deutlich gekürzt und Sozialleistungen kaum noch dynamisiert werden.
Zusätzlich kommen zwei neue gefährliche Dimensionen hinzu – die wir beide längst überwunden glaubten:
A) Wehrpflicht
Es wird der Rückkehr zur Wehrpflicht das Wort geredet. Die Wehrpflicht und ihr Pendant der Zivildienst sind Zwangsdienst zu Lasten der Jugend. Diese soll in Billigjobs, deutlich unter Mindestlohn, gepresst werden. Es werden die Menschen der Armutsschichten sein, deren Job durch „preiswerte“ Wehrpflichtige ersetzt werden soll. Die aus den 1990er Jahren bekannte Formel gilt weiterhin – 1,5:1 – 1,5 Zivis ersetzen eine Vollzeitkraft. Pro 100.000 Zivis entfallen also mindestens 66.000 Vollzeitjobs. (Tobiassen 2001)
Gleichzeitig sind es auch die Ärmsten, Rentner und Kranke, die mit Einbußen bei der Qualität der Pflege bezahlen sollen. Ein militärischer Nutzen der Wehrpflicht ist nicht vorhanden. Das war ja auch der Grund, warum sie abgeschafft wurde. Aber die sozialen Folgen ihrer Wiedereinführung werden deutlich spürbar sein.
B) Stationierung von atomaren Raketen
Ohne öffentliche Diskussion und ohne Not hat Scholz den Beschluss durchgesetzt, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Eine Militarisierung ersten Grades. Deutschland wird so zur Geisel der USA. Statt mehr Schutz steigt die Unsicherheit.
Beiden Formen der Militarisierung gilt es, sich entschieden entgegen zu stellen.
Die Kriege sowie die Beteiligung Deutschlands daran müssen beendet werden!
Die Forderungen der Friedenskoordination Potsdam sind umzusetzen (FRIKO Potsdam 2024):
- Sofortiger Stopp der Kampfhandlungen in der Ukraine und in Gaza!
- Beginn von diplomatischen Verhandlungen!
- Stopp aller Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete!
- Keine Stationierung atomarer Mittel- und Langstreckenwaffen in Deutschland!
- Sofortige Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages!
- Stopp der Kriegsertüchtigung und der Aufrüstung der Bundeswehr!
Stattdessen: Investition in Bildung, Soziales, Infrastruktur und einer gerechten Umweltpolitik sowie Förderung weltweiter friedlicher Koexistenz!
Wir müssen wieder lernen – die anderen in ihrem Anderssein zu akzeptieren.
Es muss eine Politik der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten geben.
Lasst uns gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen.
Ich danke euch.
Die Rede ist auch auf den Seiten der FRIKO Potsdam sowie auf zeitgedanken.blog veröffentlicht.
Die Bilden sind Aufnahmen von der Friedensdemo am 01.09.2024 in Potsdam.
Literaturverzeichnis
Antezza, Arianna; Frank, André; Frank, Pascal; Franz, Lukas; Kharitoniv, Ivan; Kumar, Bharath et al. (2022): The Ukraine Support Tracker. Which countries help Ukraine and how? Hg. v. Institut für Weltwirtschaft Kiel. Kiel (Kiel Working Papers, 2218).
Boksch, René (2024): Krieg in der Ukraine. Mehr als 14.000 aktive Sanktionen gegen Russland. Hg. v. statista. Hamburg.
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch (1959): On peaceful coexistence. In: Foreign Affairs (1), S. 1-18.
FRIKO Potsdam (Hg.) (2024): Schluss mit Kriegen! Für eine friedliche Welt! Potsdam.
German Foreign Policy (Hg.) (2024): „Moskau niederringen wie im Kalten Krieg“. Aachen.
Gorbatschow, Michail (1988): Rede auf der Kundgebung der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft. 10. April 1987. In: Michail Gorbacev (Hg.): Michail Gorbatschow. Ausgewählte Reden und Aufsätze, 4 Bd. Juli 1986 – April 1987. 5 Bände. Berlin: Dietz Verlag, S. 523–542.
ippnw (Hg.) (2024): Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine. Eine Sammlung bestehender Vorschläge und möglicher Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden. Berlin.
Kleinwächter, Kai (2017): Auslandseinsätze der Bundeswehr. zeitgedanken.blog. Potsdam.
Otte, Romanus (2024): Minus 90 Prozent – Deutschlands Handel mit Russland ist komplett kollabiert. In: Business Insider, 05.02.2024.
Schmid, Bernard (2024): Wie der Ukraine-Krieg auf Afrika übergreift. In: telepolis, 07.08.2024.
The National WWII Museum (Hg.): Research Starters. Worldwide Deaths in World War II. New Orleans.
Tobiassen, Peter (2001): Eine Bestandsaufnahme. Zivildienst aus volkswirtschaftlicher Sicht. In: Sicherheit + Frieden Vol. 19 (Nr. 4), S. 184-187.
WeltTrends 201 – Revolte des Globalen Südens
Immer deutlicher wird das Bestreben der Gruppe der bevölkerungsstarken und wirtschaftlich aufstrebenden Staaten des Globalen Südens, eine eigenständige politische Rolle in der Welt zu spielen, zumal sich ihre Interessen häufig von denen anderer Länder, vor allem „des Westens“, unterscheiden. Im Thema geht es um grundsätzliche Fragen des Globalen Südens und um solche Regionen wie Süd- und Südostasien, Lateinamerika, den Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien.
Im Forum 1 analysiert Oberst a. D. Wolfgang Richter Vorgeschichte und bisherigen Verlauf des Ukrainekrieges. Ausgehend vom Militärtheoretiker Clausewitz rät auch Hans-Heinrich Nolte der Ukraine, einen Kompromissfrieden zu suchen. Im Forum 2 setzen sich Wolfgang Schwarz und Lutz Kleinwächter mit der Forderung nach einer Nuklearbewaffnung Deutschlands bzw. der EU auseinander. Auch im WeltBlick widmen sich unsere Autoren aktuellen internationalen Fragen: der Verurteilung des Gaza-Krieges durch internationale Gerichte, den Beziehungen zwischen Georgien und Russland wie auch der US-Blockade Kubas.