Wilfried Schreiber / Lutz Kleinwächter
Deutsche Sicherheitsstrategie: Die Illusion über Kriegsführung in Europa
Bundesregierung setzt die militante Ausrichtung der Weißbücher fort. Sie gibt sich drei Grundirrtümern hin. Wie eine alternative Realpolitik aussähe. Gastbeitrag.
Mit erheblicher Verzögerung veröffentlichte die Bundesregierung 2023 ein Set strategischer Grundsatzdokumente: am 4. Juli mit Kabinettsbeschluss erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie, NSS 23. Unmittelbar am 13. Juli gefolgt von der China-Strategie, ChS, und am 9. September ihre Verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR 23. Die konfrontative Gesamtausrichtung gegen Russland und China erfordert eine kritische Auseinandersetzung.
Das höchste Strategiedokument – die NSS, leider in der militanten Kontinuität der Weißbücher von 2006 und 2016 – trägt den Untertitel „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig. Integrierte Sicherheit für Deutschland“.
Die Strategie, die Irrtümer
Federführend war das Auswärtige Amt. Der Untertitel beinhaltet die entscheidenden Schlagworte des strategischen Konzepts Deutschlands:
– „Wehrhaft“- fähig sein, auf eigenem Territorium einen Krieg führen zu können.
– „Resilient“ – in einem solchen Krieg funktionsfähig bleiben.
– „Nachhaltig“ – in diesem Krieg erfolgreich sein, also siegen.
Damit wird nicht unterstellt, dass Deutschland einen Krieg anstrebt, aber es schließt ihn eben auch nicht als eine völlig unrealistische und inakzeptable Option aus. Insofern kann man diese drei Schlagworte durchaus als drei Grundirrtümer bezeichnen, die Deutschlands sicherheitspolitische Strategien kennzeichnen – ein Programm, das in seiner Diktion auf eine Militarisierung des Landes und der Gesellschaft hinausläuft.
Drei Jahrzehnte Reform-Experimente mit der Bundeswehr – ebenso wie die Phalanx der überforderten Verteidigungsminister:innen – sind allesamt gescheitert. Von einer „Verteidigungsarmee“ zur „Armee im Einsatz“ und nun ein weiterer Wendeversuch, der Salto rückwärts in die Vergangenheit des „Kalten Krieges“.
Bedrohungsphobien
Die politischen Leitlinien zur Durchsetzung des Programms bilden Feindschaft zu Russland, Systemkampf mit China sowie Vasallentreue gegenüber den USA. Der permanente antikommunistische Hass auf die Sowjetunion im 20. Jahrhundert geht gegenwärtig in der Russophobie des Westens auf und trägt das Scheitern schon in sich.
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Der Artikel erschien auch im Heft 199 – Deutschlands Strategien der Unsicherheit.
Deutschlands Strategien der Unsicherheit
WeltTrends Heft 199
Vor dem Hintergrund einer schwierigen Sicherheitslage legte die Bundesregierung Mitte des vergangenen Jahres erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie vor, die „mehr Orientierung bieten“ soll, gefolgt von einer China-Strategie und den Verteidigungspolitischen Richtlinien. Wer jedoch auf eine eigenständige, auf Vermittlung und effektive Rüstungskontrolle gerichtete Rolle des wirtschaftlich stärksten Staates im Zentrum Europas gehofft hatte, der musste sich getäuscht sehen. Folgsam ordnete sich Berlin in die von jenseits des Atlantiks vorgegebene Linie ein.
Im Thema dieses Heftes analysieren unsere Autoren verschiedene Aspekte des Programms, das auf eine Militarisierung von Staat und Gesellschaft hinausläuft und im Grunde auf Feindschaft zu Russland, Systemkonfrontation mit China und Vasallentreue gegenüber den USA gerichtet ist. Festgeschrieben wird das Zwei-Prozent-Ziel und damit eine langfristige Hochrüstung.
Im WeltBlick geht es vor allem um die Neuausrichtung der polnischen Außenpolitik unter der der Koalitionsregierung von Donald Tusk. Ohne eine tragfähige Lösung des Palästinaproblems ist auch die Sicherheit Israels nicht auf Dauer zu gewährleisten – so die Schlussfolgerung der Kommentare im Forum zur Lage im Nahen Osten.
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