Kadyr Malikow
Der Islamische Staat – Geopolitik in Zentralasien
Vorwort I (Stand 24.08.2024 / 23:00 Uhr)
Der Islamische Staat bekannte sich zum gestriegen Anschlag in Solingen. Ein Terrorist tötete dort auf einem Volksfest drei Menschen und verletzte weitere schwer. Der Islamische Staat ist eine weltweit agierende Terrororganisation. Entstanden im Chaos des gescheiterten Irakkrieges der USA, ist er inzwischen in allen Ländern der westlichen „Anti-Terrorkriege“ aktiv. Schwerpunkte sind derzeit der Nahe Osten, insbesondere Syrien, und die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens sowie Afghanistans.
Von dort führte der IS erst vor wenigen Monaten einen schweren Anschlag in Russland durch. Der Anschlag auf den Moskauer Filmpalast „Crocus City“ am 23. März 2024 gilt mit circa 139 Toten als opferreichster Terroranschlag in Russland. In Deutschland wurde dieser Terrorakt weitgehend ignoriert. Die Fixierung auf den Ukraine-Krieg macht den Westen, macht Deutschland, blind gegenüber der islamistischen Bedrohung. Gleichzeitig schafft der mit allen Mitteln ausgetragene geopolitische Machtkampf die Grundlage für den IS und anderer Terrororganisationen.
Der folgende Text beleuchtet die strategischen Hintergründe des neuerlichen Erstarkens des IS in Zentralasien. Eindrückliche Forderung des Autors und auch das Ziel der dortigen Eliten ist, dass die NATO/USA, Russland und China gemeinsam dieser Bedrohung entgegentreten – und nicht im geopolitischen Wahn den IS stärken.
Kai Kleinwächter (Verlagsleiter WeltTrends)
Vorwort II (Stand 03. Juli 2024)
Laut Behauptungen des Direktors der russischen Auslandsaufklärung, Sergej Naryschkin, seien auch „US-amerikanische und britische Sonderdienste im Spiel, welche mit Terrorgruppen kooperieren, um die Lage in zentralasiatischen Ländern zu destabilisieren“(…). „Trotz der eher beschämenden Flucht der Amerikaner aus Afghanistan vor einigen Jahren sehen britische und amerikanische Geheimdienste noch immer nicht davon ab, mit terroristischen Untergrundgruppen zu kooperieren mit dem Ziel, nicht nur Afghanistan, sondern auch die Nachbarstaaten Zentralasiens sowie Eurasiens zu destabilisieren“.
Die IS-Gruppierung Vilayatu Khorasan orientiert sich vorrangig auf die historische Region Khorasan, die sich über Teile Afghanistans, Pakistans, Turkmenistans, Tadschikistanstans, Usbekistans und Iran erstreckte. Gegenwärtig konzentriert die Terrorgruppe ihre Aktivitäten auf Zentralasien.
Der Leser erfährt vom kirgisischen Autor, Dr. Kadyr Malikow, in welche komplizierte Lage Zentralasiens Staaten und Gesellschaften dadurch geraten, dass islamische, terroristisch agierende Organisationen, wie der IS Vilayatu Khorasan, die Unwägbarkeiten und Gefahren des „hybriden Kriegs der Konfrontation des Westens gegen Russland, angeführt von den Vereinigten Staaten“, vermittels „interreligiöser und interethnischer Faktoren“ zu ihrem Vorteil weiter eskalieren.
Dr. Arne C. Seifert, Initiator und Übersetzung dieser Analyse
(Botschafter a.D.; Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik WeltTrends)
Ethnisch-religiöse Sicherheitsfaktoren in Zentralasien
Die wachsende Konfrontation zwischen dem kollektiven Westen, angeführt von den Vereinigten Staaten, sowie Russland und seinen Verbündeten löst bei den politischen Eliten der zentralasiatischen Länder Befürchtungen aus, dass sich die Region als „weicher Unterleib“ früher oder später in eine Plattform für Projekte zur Eindämmung Russlands, Chinas und Irans verwandeln könnte. Die Aussicht auf neue Konfrontationen zwischen dem kollektiven Westen und antiwestlichen Verbündeten – Russland, China und Iran – hat neue Bedingungen für die geopolitische Lage der zentralasiatischen Region geschaffen.
Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan haben jeweils Landgrenzen zum dauerhaft instabilen Afghanistan, wo neben der Taliban-Bewegung auch die Bedrohung durch den IS Khorasan wächst. Und in jüngster Zeit haben diese beiden Oppositionsgruppen aus Afghanistan die Propaganda ihrer Ideologien in den sozialen Netzwerken spürbar intensiviert, um zentralasiatische Bürger für sich zu gewinnen.
Der Völkermord an den Palästinensern im Gaza-Streifen, die Eskalation dieses Konflikts im Nahen Osten sowie dessen mögliche Ausweitung zeugen von der Ohnmacht der internationalen Gemeinschaft und des Völkerrechts. All diese Faktoren werden direkt oder indirekt die Wachstumsdynamik des politischen Islam von gemäßigten bis zu radikalen Gruppen und Bewegungen in der gesamten islamischen Welt, vom Nahen und Mittleren Osten über Nordafrika bis hin zu zentralasiatischen Ländern, beeinflussen.
Vor dem Hintergrund dieser neuen globalen Herausforderungen erhöht der anhaltende Krieg in der Ukraine zunehmend den Druck der großen „Player“ auf die Länder der zentralasiatischen Region. Und man sieht, dass die politischen Eliten dieser Länder der ehemaligen UdSSR Signale zur Annäherung senden. Dazu gehören Fragen der Grenzziehung und der Beilegung von Wasserstreitigkeiten sowie die Überprüfung der Position gegenüber Russland und dem Westen, um den Status quo aufrechtzuerhalten und eine mehr sektorale Außenpolitik zu verfolgen.
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Der Artikel erschien auch im Heft 201 – Revolution des globalen Südens
Biodaten: Dr. Malikov Kadyr Kurmanbekovich, geb. 1972, Studium islamisches Recht und Politik (Universitäten Jordanien, Madrid, 2001-2007), tätig in Ministerien Jordaniens und Kirgisistans, Leiter Analysezentrum „Religion, Recht und Politik“, Lehre OSZE-Akademie, Berater des Innenministers Kamil_Malikov@mail.ru
Quellenangabe Karte weltweite Anschläge IS. Originaldatei und Angaben Urheberrechte auf Wikimedia.org Autor: Szabi237 Lizenz: Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 Generic (CC BY-SA 4.0).
Der Artikel erschien zuerst in der neuesten Ausgabe von WeltTrends – Nr. 201: Revolte des Globalen Südens.
WeltTrends 201 – Revolte des Globalen Südens
Immer deutlicher wird das Bestreben der Gruppe der bevölkerungsstarken und wirtschaftlich aufstrebenden Staaten des Globalen Südens, eine eigenständige politische Rolle in der Welt zu spielen, zumal sich ihre Interessen häufig von denen anderer Länder, vor allem „des Westens“, unterscheiden. Im Thema geht es um grundsätzliche Fragen des Globalen Südens und um solche Regionen wie Süd- und Südostasien, Lateinamerika, den Nahen und Mittleren Osten sowie Zentralasien.
Im Forum 1 analysiert Oberst a. D. Wolfgang Richter Vorgeschichte und bisherigen Verlauf des Ukrainekrieges. Ausgehend vom Militärtheoretiker Clausewitz rät auch Hans-Heinrich Nolte der Ukraine, einen Kompromissfrieden zu suchen. Im Forum 2 setzen sich Wolfgang Schwarz und Lutz Kleinwächter mit der Forderung nach einer Nuklearbewaffnung Deutschlands bzw. der EU auseinander. Auch im WeltBlick widmen sich unsere Autoren aktuellen internationalen Fragen: der Verurteilung des Gaza-Krieges durch internationale Gerichte, den Beziehungen zwischen Georgien und Russland wie auch der US-Blockade Kubas.
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