Petra Erler
Aktuelle deutsche Außenpolitik – Bilanz eines Versagens
Deutsche Außenpolitik steht am Scheideweg. Seit der „Zeitenwende“ 2022 hat das Land seine traditionelle Vermittlerrolle aufgegeben. Was bedeutet das für Europa?
Gegen Ende des Jahres 2024 bedarf es keiner intellektuellen Anstrengung mehr, das fatale Versagen deutscher Außenpolitik seit 2022 zu durchleuchten. Mit der „Zeitenwende“ wurden Elemente deutscher Außenpolitik abgetrieben, die Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu einem geachteten und anerkannten Akteur in den internationalen Beziehungen gemacht hatten: das im Grundgesetz verankerte Friedensgebot, das deutsche Eintreten für Dialog, Mäßigung und Verständigung, der Wille zur Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen über alles Trennende hinweg.
Heute regiert das alte Freund-Feind-Denken den europäischen Kontinent, dem die erneute militärische Spaltung nach der Auflösung der Sowjetunion den Boden bereitete. Das, was im Prozess der deutschen Einigung eine fast universell geteilte Hoffnung war, die Entwicklung eines „gemeinsamen Hauses Europa“, ist gescheitert.
Deutsche Unterwerfung
Statt den Kontinent zu einen, unterwarfen sich Deutschland bzw. die EU dem amerikanischen Hegemonialanspruch, der als Verteidigung der sogenannten „regelbasierten Ordnung“ ausgegeben wird. Mit der „Zeitenwende“ ging die Übernahme einer militaristisch ausgerichteten Außenpolitik und einer konfrontativen Wirtschaftspolitik einher.
Seitdem ist Deutschland ein Vasall der USA in deren Kampf, ihren weltpolitischen Abstieg als einzig verbliebene Supermacht aufzuhalten. Damit band sich Deutschland in den großen geopolitischen Veränderungen unserer Zeit politisch an die absteigende Macht und beraubte sich einer eigenständigen Handlungsfähigkeit.
Deutschland wurde sowohl unfähig, in den frühen Verhandlungen um ein Ende im Ukrainekrieg im Frühling 2022 eine aktive vermittelnde Rolle zu spielen, als auch einer permanenten Kriegseskalation entgegenzutreten. Selbst aktuell, angesichts einer absehbaren militärischen Niederlage der Ukraine, marschiert Deutschland auf dem generellen Kriegskurs weiter mit.
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Der Artikel erschien zuerst in der neuesten Ausgabe von WeltTrends Nr. 203: Welt 21 im Umbruch.
Biografische Angaben: Dr. Petra Erler ist Geschäftsführerin der Strategieberatung European Experience Company GmbH. 1990 war sie nach den ersten freien Wahlen in der DDR Staatssekretärin für Europäische Angelegenheiten. Von 2006 bis 2010 war sie die Kabinettschefin von EU-Kommissar Günter Verheugen.
WeltTrends 203 – Welt 21 im Umbruch
Auch dieses Heft widmet sich außen- und sicherheitspolitischen Fragen unserer Zeit. Der Bogen spannt sich von einer Bilanz des Versagens aktueller deutscher Außenpolitik über den Brüsseler Kurs Polens, den Krieg im Nahen Osten, den „reinen Kapitalismus“ des rechten argentinischen Präsidenten Milei bis zur Flüchtlingspolitik von EU und Türkei.
Im Mittelpunkt stehen die Entwicklungen in Eurasien. Dem Übergang „von der transatlantischen zur eurasisch-pazifischen Zentralität“ widmen sich Hannes Hofbauer und Andrea Komlosy, während es Richard Ghiasy um die Positionen Chinas und Indiens zur asiatischen Sicherheitsordnung geht. Mehrere Artikel beschäftigen sich mit dem weiteren Ausbau der BRICS, insbesondere dem XVI. BRICS-Gipfel in Kasan. Unser russischer Autor Sergej Birjukow und seine chinesischen Kollegen Han Dongtao und Cui Heng sehen in ihm die „Morgendämmerung einer neuen Weltordnung“.